Ausgehend von der gesellschaftlichen Auflösung des traditionellen Familienlebens und der damit verbundenen Suche nach neuen Formen des persönlichen Zusammenlebens wächst gegenwärtig das allgemeine Interesse an Freundschaftsbeziehungen. Eine philosophische Theorie der Freundschaft existiert bislang jedoch nicht. Dies erstaunt um so mehr, wenn man bedenkt, dass das Phänomen Freundschaft von Aristoteles über Montaigne und Kant bis hin zu Nietzsche und Derrida als ein nennenswertes Themen der Praktischen Philosophie galt.
Auf der Basis einer kritischen Rekonstruktion dieser moraltheoretisch geprägten Tradition einerseits und einer konzeptuellen Absetzung von einer Semantik der Liebe und der gefühlsmäßigen Innerlichkeit andererseits entfaltet Harald Lemke eine systematische Theorie der Freundschaftspraxis.
Die Grundlegung einer Phänomenologie der spezifisch freundschaftlichen Umgangsformen und Denkweisen wird im Rahmen einer ›Praxologie des Freundens‹ ausgearbeitet. Ergänzt und vervollständigt wird die Darstellung der praktischen Implikation tätigen Freundseins durch die Beschreibung der gewöhnlichsten Vollzugsformen freundschaftlichen Umgangs: das Miteinanderreden, das gemeinsame Essen und Feiern.
Das Konzept einer Ethik des Selbst als Freund vermag auf konkrete Weise die philosophischen Fragen nach gelingender Subjektivität, nach Glück und Lebenslust, nach einem guten (Sozial-)Leben, nach der persönlichen Lebenskunst und nach der Verwirklichung von Freiheit und alltäglicher Selbstbestimmung zu beantworten. Eine Philosophie der Freundschaft verankert diese Antworten in einem zeitgemäßen und erstrebenswerten Handlungsmodell aktiver Lebensgestaltung.
Harald Lemke, Freundschaft. Ein philosophischer Essay, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000